Borreliose






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17.4.2006


Landesregierung Niedersachsen
Der Präsident
30000 Hannover

Betreff: Antwort auf die Drucksache 15/2528 der Landesregierung Niedersachsen vom 12.01.2006

Sehr geehrter Herr Präsident!
Sehr geehrte Abgeordneten!

Der Gesundheitsausschuss der Landesregierung hatte im Rahmen einer Anhörung von Selbsthilfegruppen, Betroffenen und Ärzten aus ganz Niedersachsen im Jahr 2004 die Bereitschaft erklärt, das Los der an Borreliose erkrankten Menschen durch gezielte Maßnahmen zu verbessern. Leider liest sich die Antwort der Landesregierung wie eine Zusammenstellung obsoleter Lehrmeinungen.
Erkrankung
Die Übertragung findet nicht nur durch Zeckenstiche, sondern auch vertikal (das heißt von der Mutter auf das ungeborene Kind), sowie horizontal (zum Beispiel beim Geschlechtsverkehr) und auch durch Insekten statt. Dieses wurde wiederholt nachgewiesen.
Das Risiko nach einem Zeckenstich zu erkranken, liegt meines Erachtens deutlich über 3-6%. Dass Erkrankte ansteckend sein können, wird durch die enge Verwandtschaft der Borrelien mit den Syphiliserregern klar. Jedoch haben wir die Zeiten Syphilis- infizierter Neugeborener scheinbar vergessen oder nicht erlebt. In anderen Erdteilen (Afrika) kann man sich auch heute noch mehrfach infizierte Kinder ansehen.
Die Einteilung in 3 Stadien ist obsolet, da die Stadien ineinander übergehen. Sinnvoller ist eine Einteilung in Früh- und Spätstadium. Das Nervensystem ist zu fast 100% betroffen. Warum sollten die Borrelien vor dem Zentralnervensystem halt machen, wenn sie sich doch im ganzen Körper ausbreiten können?
Die Labor- Diagnostik ist grundsätzlich nicht in jedem Stadium möglich. Insbesondere Patienten, die eine Immunsuppression erhalten haben, zum Beispiel wegen "rheumatischer" Beschwerden oder "Multipler Sklerose", weisen häufig keinerlei Antikörper auf. Auch sind Antikörper im Stadium III nicht obligat, wie einige Patienten in meiner Praxis dokumentieren. Antikörper gegen Borrelien entwickeln sich oft erst im Laufe der oft langwierigen Antibiotikatherapie. Die Diagnose "Borreliose" ist eine klinische. Hier bedarf es erheblicher Anstrengungen bezüglich der Aus- und Weiterbildung von Medizinern.
„Gesunde" Erwachsene können keine Zeichen einer überstandenen Infektion zeigen, denn dann wären sie krank, entweder latent oder manifest. Die Diagnose kann nur im Zusammenhang mit Symptomen gestellt werden. Eine Antibiotikaprophylaxe nach Zeckenstich sollte großzügig erfolgen, da circa 1/3 der manifesten Infektionen verhindert werden kann.
Epidemiologie
Eine Altersverteilung ist in meinem Patientengut nicht zu erkennen, das heißt es gibt kein Prädilektionsalter. Eine Zunahme der Inzidenz kann durch Klimaveränderung und Sensibilisierung der Bevölkerung festgestellt werden.
Prävention
Eine Übertragung der Borrelien durch Geschlechtsverkehr und Muttermilch ist leider möglich. Ein Hinweis auf den häufigsten Ansteckungsort fehlt: der häusliche Garten. Eine Prävention durch abschütteln der Kleidung ist wohl wirkungslos, da sich Zecken von rauhen Oberflächen nicht ohne weiters ablösen lassen (klauenförmige Füße). Waschen alleine ist auch kein absoluter Schutz. Es gibt Zecken, die sogar die Waschmaschine überstehen. Es fehlt der Hinweis auf trockene Hitze (Wäschetrockner, Heizung), die jede Zecke tötet. Auch der Hinweis auf schon infizierte Zeckenlarven, die kaum erkennbar sind (unter 1mm), fehlt. Mit Borrelien infizierte Zeckenlarven werden zwischen 0,1 und 100% gefunden. Ein Hinweis auf die richtige Zeckenentfernung fehlt. Eine fest sitzende Zecke sollte mit einer spitzen Pinzette möglichst weit vorne am Stechapparat gegriffen, oder mit einem geeigneten Instrument heraus gehebelt werden. Wirkungsvoller wären jährlich zu wiederholende Informationsveranstaltung im Rahmen von Elternabenden und Schulstunden.

Ad 1.
Wo findet man den Ratgeber des NLGA?
Wie lautet die Homepage- Adresse?
Auf welche Weise soll über Zeckenstiche und die Borreliose aufgeklärt werden, wenn dem LGA noch nicht einmal die Symptome bekannt sind?
Warum werden nur Kitas und Waldkindergärten genannt? Genauso wichtig sind Grundschulen und weiterführende Schulen, Eltern, Erzieher und Lehrer.

Ad 2.
Welche Erfahrungsberichte (von wem?) führen zur Erkenntnis, dass eine Meldepflicht nicht eingeführt werden sollte?
Zweck des Infektionsschutzgesetzes ist es, Übertragungen von Mensch zu Mensch zu verhindern. Dieses ist jedoch bei der Borreliose möglich (Geschlechtsverkehr, Muttermilch). Der riesige Erkenntnisgewinn für die Epidemiologie durch eine Meldepflicht ist von unschätzbarem Wert, wie auch der Epidemiologe Dr. Talaska die bundesweite Meldepflicht empfiehlt.
Ein Bürokratieabbau ist kein Gegenargument, da eine Meldung auch online von jeder Arztpraxis mittels Internet erfolgen könnte. Welche Risikogebiete sind gemeint, wenn die Borreliose in ganz Deutschland endemisch ist? Der Landesregierung ist scheinbar nicht klar, welche immensen Auswirkungen (Arbeitsunfähigkeit, Berentung) diese Infektionskrankheit hat.

Ad 3.
Die Borreliose- Diagnostik an der Universität Göttingen und in der MHH unterliegt den gleichen Problemen, wie an anderen Institutionen auch. Leider scheint dieses der Landesregierung nicht bekannt zu sein. Selbst das nationale Referenzzentrum am Max-von-Pettenkofer- Institut in München beklagt eine fehlende Standardisierung. Die Folge ist, dass sich aus ein und derselben Blutprobe in einem Labor gar keine im anderen extrem hohe Antikörperspiegel bestimmen lassen. Was bedeutet in diesem Zusammenhang „akkreditiert“? Lateinisch „credere“ heißt glauben, jedoch sind viele dieser Laborbefunde alles andere als glaubhaft. Leider werden sehr häufig Patienten mit dem Hinweis „keine Borreliose“ aus der MHH und aus der Uni Göttingen entlassen, die sich unter einer spezifischen Antibiotika- Therapie sehr wohl therapieren lassen und z.T. erstaunlich bald gesundheitlich bessern. Die übliche Diagnostik aus ELISA-Test und - nur im positiven Fall anschließendem Western-Blot - ist, wie sehr viele Patienten- Schicksale beweisen, häufig fatal und bedeutet für viele Betroffene eine weitere Odyssee von Arzt zu Arzt und von Klinik zu Klinik. Leider wird dieses Vorgehen von so genannten Experten noch immer befürwortet. Die scheinbare Kosteneinsparung durch eine insuffiziente Diagnostik wird im therapeutischen Sektor zu einer finanziellen Zeitbombe.
Wenn die Therapie so einfach wäre, wie es die Landesregierung in der Drucksache mitteilt, wäre der Beschluss des Landtages und die Anhörungen nicht erforderlich gewesen. Ein dringender Bedarf wird wahrscheinlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht erkannt werden, weil es sich nicht um die Entwicklung neuer Arzneimittel handelt, die von der Industrie entsprechend gefördert werden würden. Die ausreichenden Erfahrungen in der Therapie stehen nicht zur Verfügung, weil die meisten Patienten noch immer untertherapiert werden und die Erkrankung weiter fortschreiten kann.
Was versteht die Landesregierung unter dem Krankheitsbild der „Lyme- Borreliose“, dem häufigeren Bild der Erkrankung. Als Ärzte, die wir uns täglich über Jahre mit dieser Infektionskrankheit auseinandersetzen, sehen wir keine Differenzierung. Leider werden an den Universitäten mehr „Rheuma“- und "Multiple Sklerose“- Forschungen betrieben (mit hoher Wahrscheinlichkeit z.T. Folgen nicht erkannter Infektionen) als Forschungen auf dem Gebiet der durch Zecken übertragenen Erkrankungen, die nicht abschließend mit dem Begriff „Borreliose“ charakterisiert werden können, da es sich häufig um komplexe Multi- Infektionskrankheiten handelt.

Ad 4.
In den ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen werden nur „Leitlinien“- konforme Diagnostik- und Therapieverfahren behandelt, die jeder Student schon aus dem Studium kennt und die in den immer noch publizierten Medien zu finden sind. Neue Erkenntnisse werden zwar vom Leiter des niedersächsischen Landesgesundheitsamtes, Prof. Windorfer, eingeräumt, jedoch nicht adäquat umgesetzt. Erwartungsvoll sehen wir den für dieses Jahr geplanten Veranstaltungen entgegen.

Ad 5.
Die Einrichtung von Spezialambulanzen an den Uni- Kliniken trägt mit Sicherheit nicht zu einer landesweiten Aufklärung über die Folgen der Borreliose und Therapiemöglichkeiten bei. Jedenfalls nicht, wenn die bisherigen Modi beibehalten werden.
Zudem wenden sich nur einige wenige Personen an die Uni- Kliniken. Eine wohnortnahe Beratung und Therapie wäre empfehlenswert. Hier müssten die ortsansässigen Ärzte neben einer adäquaten Honorierung (wir arbeiten seit Jahren ein halbes Jahr ohne Honorar bei steigenden Betriebsausgaben !) eine nicht- richtgrößengesteuerte Medizin betreiben dürfen, ohne dass horrende Regressforderungen jede Aktivität im Keim ersticken. Ich erhalte immer wieder Mitteilungen von Kollegen, die aus Gründen von Budgets oder Richtgrößen eine entsprechende Therapie ablehnen. Die „erfahrenen“ klinischen Abteilungen haben leider in der Vergangenheit nicht durch Therapieerfolge geglänzt. Und ich frage mich, wie lange in den entsprechenden Abteilungen der Unikliniken Patienten longitudinal verfolgt, beobachtet und therapiert werden.
Ein neues Gespenst steht vor unserer Tür: das soeben beschlossene Gesundheitsgesetz, wonach die Bonus- Malus- Regelung das Rezeptierverhalten der Ärzte auf ein Minimum reduzieren soll. Somit werden die der Patienten in die Chronifizierung getrieben. Der Zwei- Klassen Medizin wird wieder Vorschub geleistet und es werden weiter Ärzte ins Ausland fliehen oder die Praxen schließen.

Mit freundlichen Grüßen!
Hans-Peter Gabel